Der Besuch

Noch nie in meinem Leben war ich so umschwärmt – umschwärmt von Fliegen, welche sich immer wieder in meinem Gesicht niederlassen und sogar in meine Augen und meinen Mund kriechen. Da ich mich aber nur sehr langsam bewegen kann, ist es für mich aussichtslos, sie zu verscheuchen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als sie emotionslos zu ertragen. So bin ich absolut geduldig und gewähre den lästigen Biestern alles, was sie wollen. Woher nehme ich nur diese Ruhe und Gelassenheit?

Auch von Krabbeltieren werde ich besucht, wie zum Beispiel einer Raupe. Entweder sucht sie Futter oder ein Schlafplätzchen in meinem Ohr. So dauert es wieder eine ganze Weile, bis ich einen Handschuh ausgezogen habe und langsam mit der Hand zu meinem Ohr gelangen kann, um mich von diesem haarigen Besucher und dem lästigen Kitzeln zu befreien. Dann höre ich plötzlich ein Rascheln über mir in der Runse. Den Geräuschen zufolge handelt es sich um ein grösseres Tier, einen Fuchs oder gar einen Hirsch. Mit ulkigen Geräuschen versuche ich es zu verscheuchen, bevor es mich mit weiteren polternden Steinen eindeckt.

In einer Verschnaufpause schaue ich entkräftet über den Heinzenberg. Plötzlich erschrecke ich, denn in unmittelbarer Nähe kreisen zwei riesige Vögel. Mit so schnellen Bewegungen wie möglich versuche ich mit meinem Erlenzweig den beiden klarzumachen, dass ich nicht ihr Futter bin. Bei ihrem Anblick denke ich zuerst an Geier, doch bin ich noch nicht so weit, dass ich als Aas taugen würde – noch lebe ich. Bei diesem Gedanken entfährt mir ein Lachen, gefolgt von knackenden Rippen und heftigen Schmerzen.

Während die beiden eine weitere Runde über mir drehen, erkenne ich sie als Steinadler. Sie bewohnen im gleichen Gebirgszug einen Horst und werden wohl auch in diesem Jahr wieder junge Adler aufziehen. Sofort realisiere ich, dass diese lebendes Futter bevorzugen, und so schlage ich leicht auf meinen Bauch und sage entspannt und mich in Sicherheit wiegend: „Ich bringe mehr als 25 Kilogramm auf die Waage und bin definitiv eine zu grosse Beute für euch!“ Und noch mehr muss ich lachen. Schon kracht es wieder in meinem Körper und die Freude ist vorbei.

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